Zuletzt geändert am Donnerstag, dem 19. Januar 2017 um 12:15 Uhr    

Wegweisender Dirigent

Bachchor3,5x5
                                                                                 
(Helga Böhmer im SCHWÄBISCHEN TAGBLATT anlässlich des 100. Geburtstags am 20. November 1999)
             
TÜBINGEN.  Hermann Achenbach (1899 bis 1982), der Gründer und langjährige Leiter des Tübinger Kantatenchors, war kein Tübinger, aber er ist, auch durch seine Heirat mit einer Einheimischen, Trudel Klein, mehr und mehr zu einem geworden.

Ehe sich seine Lebensarbeit eng mit der Universitätsstadt am Neckar verband, durchlief er verschiedene Stationen.  Geboren in Straßburg, dort und später in Nagold zum Lehrer ausgebildet, eine Zeitlang auch in diesem Beruf tätig, hatte er bald seine Stimme entdeckt und studierte in Stuttgart bei den Professoren Ludwig Feuerlein, Johannes Willy und Albrecht Thausing.  Für die Oper eignete sich sein Bass-Bariton zwar nicht, aber auf dem Gebiet des Oratoriums wurde Achenbach schnell zu einem gefragten Interpreten.

Nicht nur in Tübingen, wo er auch musikwissenschaftlichen Studien nachging, sondern und mehr und mehr auch in den Hochburgen der Bachpflege, Leipzig, Dresden und Berlin, war er, vor allem in der Partie des "Christus", in den großen Passionen gesucht.  Von Bach, der immer im Mittelpunkt von Achenbachs Aktivitäten stand, wurde auch die Interpretation der Kantate Nr. 56, "Ich will den Kreuzstab gerne tragen", berühmt.

Achenbach blieb indessen nicht bei den Oratorien aus Barock und Romantik stehen, er weitete seinen Radius aus und widmete sich ganz intensiv dem Kunstlied.  Franz Schubert zog ihn in besonderem Maße an, und es läßt sich wohl kaum zählen, wie oft er "den Kranz schauerlicher Lieder", die "Winterreise" gesungen hat.  Mit dem ihm eigenen Ernst vorgetragen, hinterließen seine Darstellungen stets einen tiefen Eindruck.

Neben seinen Konzertreisen widmete sich Achenbach auch dem Unterricht, privat und dann auch an den Musikhochschulen in Kassel und in Graz.  Nach dem Krieg erneut in Tübingen, kam ihm im Jahre 1947 die ungemein fruchtbare Idee, einen Chor zu gründen, einen Oratorienchor, der sich als Tübinger Kantatenchor rasch zu einem wichtigen Vermittler bedeutender und zum Teil auch vernachlässigter Chorwerke entwickelte.

Nun konnte Achenbach seine reichen Erfahrungen als Sänger einbringen, die ihn in einer Zeit des Aufbruchs zu einem Experten in Fragen der interpretatorischen Authentizität werden ließen. Im Laufe der Jahre gesellten sich zu Händel und Bach, zu Mozart, Haydn, Mendelssohn und Bruckner auch Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert, Arthur Honeggers "Roi David" etwa oder gar die Messe Igor Strawinskys.

Achenbach, anläßlich seines 50. Geburtstags mit dem Professorentitel ausgezeichnet, war alles andere als ein Geschäftsmann.  Gerade dann, wenn er etwas wagte, danach strebte, "Luft von anderen Planeten" zu atmen, ließen ihn die Konzertbesucher mehr oder weniger im Stich.  Bachs "Weihnachts-Oratorium" musste dann herhalten, die Kassen ein wenig zu füllen.  

Der wachsende Ruf des Kantatenchors und seines Dirigenten führte zu Einladungen ins Ausland, in die Schweiz und nach Frankreich (Straßburg, Paris und Aix-en-Provence).


Erstaunlicherweise konnte Achenbach noch bis kurze Zeit vor seinem Tode "seinen" Chor betreuen. Daß ihm in Hanns-Friedrich Kunz, Sänger und Dirigent wie er, ein Nachfolger erwuchs, der seine Arbeit bruchlos weiterführen konnte, war ein glücklicher Zufall.  Wenn am 28.  November Achenbachs besonders geliebtes Oratorium, Mendelssohns "Elias", in der Stiftskirche erklingen wird, so werden die Ausführenden wie die Hörer noch alle an den wegweisenden Sänger und Dirigenten denken.