Johann Sebastian Bach - Matthäus-Passion
Matthäus-Passion

Gabriele Hierdeis - Sopran
Anne Buter - Alt
Seung-Hee Park - Tenor
Burkhard Mayer - Bass, Christus
Torsten Müller - Bass, Arien

Ensemble musica viva Stuttgart





                                                                                           Schwäbisches Tagblatt, 7. April 2004

Das "Ach" im Bach

Der BachChor sang die Matthäus-Passion

  TÜBINGEN (ach). Während Mel Gibson es mit seiner "Passion Christi" gerade mal auf 127 Minuten bringt, hat Bachs "Matthäus-Passion" die stolze Aufführungsdauer von drei Stunden. Bachs Ideenreichtum und religiöser Inbrunst ist es zu verdanken, dass die Passion zu den ergreifendsten Werken überhaupt gehört? Dementsprechend war die Stiftskirche am Sonntag ausverkauft.

  Die über 100 Mitglieder des BachChors Tübingen entfalteten unter der Leitung von Hanns-Friedrich Kunz, vor allem an tragischen Stellen wie dem Tumultchor "Er ist des Todes schuldig" oder dem Aufschrei "Lass ihn kreuzigen" eine unerhörte, atemberaubende Klanggewalt. Abgründe öffneten sich mit Crescendo-Beben und gleißenden Haltetönen, wenn man bei "Blitze, Donner" das Zischen apokalyptischer Blitze zu hören meinte. Nicht nur die entfesselte Gewalt solcher Passagen war eine außergewöhnliche Leistung, schön war auch der Aufbau weitgespannter Klangflächen, das schichtenweise Einsetzen der Chorstimmen, etwa am Ende des Ersten Teils.

  Leider fehlte dem Eingangschor diese innere Ruhe, zu überhastet und unsicher im Tempo jagte der Klagechor vorbei. Während der ersten zwanzig Minuten hatte man den Eindruck, dass sich Orchester und Chor erst zusammenfinden mussten, um dann - im gedrosselten Tempo - wahre Wunder zu vollbringen. Das Ensemble "Musica Viva Stuttgart" musizierte mit einer erlesenen Klangschönheit zumal der Bläser, vollendet durch das emphatische Spiel der Solisten. Virtuos gestaltete Sabine Kraut das Violinsolo in der Bass-Arie "Gebt mir meinen Jesum wieder", geschmackvoll musizierte Angela Knapp auf der Gambe. In der Alt-Arie "Erbarme dich" rührte der süße und schmerzliche Ton der Solo-Violine (Rüdiger Spuck) nicht wenige Zuhörer zu Tränen.

  Bei den Vokalsolisten stand auch der expressive Textausdruck im Vordergrund. Seung-Hee Park war durch seine große Partie (als Evangelist samt den Tenor-Arien) im Dauereinsatz und erstaunte bis zum Schluss durch immer neue Kraftrserven. Burkhard F. Mayer, gab Jesus eine weiche, baritonale Färbung. Der Bass Torsten Müller polterte als Hohepriester oder gab dem reuigen Judas eine kernig-markante Note. Anne Buter (Alt) faszinierte durch das mädchenhaft helle Timbre ihrer bruchlosen Stimme, ihre präzisen Verzierungen. Die Sopranistin Gabriele Hierdeis legte noch in das kleinste "Ach" und ein gehauchtes "nichts" eine ekstatische Präsenz; kunstvoll setzte sie ihre Spitzentöne im Piano an, führte sie ins Crescendo und über berückende Vorhalte.


Veranstaltungsort: Stiftskirche Tübingen | Datum: 04.04.2004