J. S. Bach - Weihnachtsoratorium
       
Weihnachtsoratorium, Teil I-VI

Petra Labitzke - Sopran
Anneka Ulmer - Alt
Seung-Hee Park - Tenor
Timothy Sharp - Bass

Ensemble "musica viva Stuttgart"
Leitung: Hanns-Friedrich Kunz





                                                                                                                     Schwäbisches Tagblatt, 20. Dezember 2005

Kraftakt am Stück

Das Weihnachtsoratorium mit dem BachChor

TÜBINGEN (ach). Alle sechs Kantaten des Bachschen Weihnachtsoratoriums als Kompakt Konzert? Daran scheiden sich die Geister. Doch solange man die Kantaten ohnehin nicht liturgisch in die vorgesehenen Gottesdienste einbindet, scheint dies weniger eine Frage der Aufführungspraxis als vielmehr des Sitzfleisches zu sein. Erwartungsgemäß enorm war der Andrang beim Mammut-Ereignis und die Stiftskirche am Vierten Advent im Nu ausverkauft. Noch nach 17 Uhr zogen sich mit der Hoffnung auf einen Stehplatz Warteschlangen bis in die Münzgasse.

Die Entscheidung für eine ungestrichene Aufführung mit rund drei Stunden Dauer führt meist zu rascheren Tempi, so war in den ersten drei Kantaten eine gewisse Getriebenheit spürbar. Den Ruhepol des Zyklus bildete - nach der viertelstündigen Pause - die vierte Kantate, zumal mit der Echo-Arie, deren „Widerhall" ein Knabensopran vom Lettner gab.

Herausragend waren Eingangschöre und auch Choralsätze - sonst eher Beiwerk der Solisten-Auftritte: Bei weit über 100 Sänger(inne)n war jede Silbe des Tübinger BachChors unter der Leitung von Hanns-Friedrich Kunz klar und präzise artikuliert und noch im hintersten Winkel der Kirche verständlich. Weiche Akzente sorgten selbst im schnellen Tempo für einen locker federnden Klang. In den einzelnen Stimmen musizierte der Chor derart homogen, dass er eine verblüffende Wendigkeit und Transparenz bekam. Bis zum Schluss sicherte er der Aufführung Spannung, Intensität und Präsenz - die in den Soli bisweilen verloren gingen.

In den Eingangschören entfaltete auch das Ensemble „musica viva Stuttgart“ seine Qualitäten. Noch in der sechsten Kantate ließ es durch immer wieder strahlend frische Farben aufhorchen. Anneka Ulmer (Alt) gab der Aufrührung eine innige Note, zierte ihre Arien reich aus. Freude machte es, Timothy Sharp, der kurzfristig für Martin Hempel eingesprungen war, beim Singen zuzuhören und zuzusehen. Der hoch sitzende, helle Bass nahm durch zupackende Musikalität für sich ein.

Die meist exponierten Schwierigkeiten der Evangelisten-Partie ging Tenor Seung-Hee Park mit einer festen Stimmführung an, die den engen Ton unter dem Druck manchmal brechen ließ. Wo der deutlich kontrollierte Klang - wie in „Frohe Hirten, eilt" - im Kontrast stand zur sensiblen Einfühlung von Querflöte und Cello, wirkte er mechanisch. Auch Petra Labitzkes opern-erprobter Sopran bekam in der Höhe durch flackerndes Vibrato eine gewisse Schärfe.

Ein unbenommen einmaliges Erlebnis, das Weihnachtsoratorium „am Stück" zu hören - auch wenn hier die großen Momente und Überraschungen einmal abseits der Arien stattfanden.




Veranstaltungsort: Stiftskirche Tübingen | Datum: 18.12.2005