Zuletzt geändert am Dienstag, dem 23. Oktober 2007 um 17:42 Uhr    

Franz Schubert: Messe As-Dur

Zur Entstehung der As-Dur-Messe

„Meine Messe ist geendigt, und wird nächstens produciert werden; ich habe noch die alte Idee, sie dem Kaiser oder der Kaiserin zu weihen, da ich sie für gelungen halte", schreibt Franz Schubert (1797-1828) aus Wien am 7. Dezember 1322 an seinen Freund Josef von Spaun. Die ‚Messe in As’ (Deutsch-Verzeichnis 673), von der Schubert hier spricht, ist die fünfte von seinen insgesamt sechs vollständig ausgeführten Messen. Im Jahre 1814 hatte er seine erste Messe (in F-Dur, D 105) geschrieben, eine ‚Festmesse’ zum hundertjährigen Bestehen der Lichtentaler Kirche in Wien. Ihre öffentliche Aufführung - die erste seiner Werke überhaupt - war ein großer Erfolg. Im Laufe der nächsten beiden Jahre folgten drei Messen von kleinerem Umfang (D 167, D 324, D 452).

Die Komposition seiner großen, „Missa solemnis" betitelten ‚Messe in As’ hatte Schubert im November 1819 begonnen und im September 1822 abgeschlossen. Wie sich die Arbeit an diesem umfangreichen Werk in den für Schubert ungewöhnlich großen Zeitraum von drei Jahren einfügt, lässt sich kaum sagen, da er die einzelnen Sätze nicht, wie sonst oft, jeweils mit Datumsangaben versehen hat. Es scheint jedoch, dass Entwürfe mindestens zu den ersten drei Sätzen der Messe bereits Anfang 1820 niedergeschrieben waren: Dies zeigt ein Entwurf zum Schluss des Credo, der vor März 1820 entstanden ist. Die Komposition der Messe fällt in die Zeit seiner intensiven Beschäftigung mit der Oper - vor allem mit ‚Alfonso und Estrella’ (D 732) und ‚Fierabras’ (D 796). In demselben Zeitraum, 1818 bis 1823 arbeitete Beethoven an seiner ‚Missa solemnis’.

Die erste Aufführung von Schuberts As-Dur-Messe ist nicht genau belegt und fand vermutlich Ende 1822 oder im Jahre 1823, möglicherweise in der Alt-Lerchenfelder Kirche in Wien statt. Sein Bruder, Ferdinand Schubert versah dort seit der Karwoche 1820 das Amt des Regens Chori. Diese Aufführung dürfte jedoch der schwierigen, reich instrumentierten Messe nicht gerecht geworden sein, da Ferdinand auf Laienmusiker, „auf die Schulgehülfen und seine Lichtenthaler Freunde, angewiesen" war. Selbst als in Graz die Oper ‚Alfonso und Estrella’ zur Aufführung gebracht werden sollte, hat dies der damalige Orchesterdirektor Hysel mit der Bemerkung abgelehnt, „es sei technisch unmöglich zu spielen, was Schubert verlange". Ein Versuch mit ‚Fierabras’ (1823) scheiterte aus den gleichen Gründen.

Außer Schuberts letzter, im Juni/Juli 1823 entstandener ‚Messe in Es’ (D 950) sind alle Messen zu Lebzeiten Schuberts aufgeführt worden. Dies ist vor allem seiner an den Kaiser Franz I. gerichteten Bewerbung um die Vizehofkapellmeisterstelle am Wiener Hof vom 7. April 1826 zu entnehmen. Darin schreibt Schubert, er habe „fünf Messen, welche bereits in verschiedenen Kirchen Wiens aufgeführt wurden, für größere und kleinere Orchester in Bereitschaft".

Diese Bewerbung verlief für Schubert enttäuschend und erfolglos. Er hatte sich zur Befürwortung an Josef Eybler gewandt, seit 1824 Nachfolger Antonio Salieris als Hofkapellmeister und hatte ihm seine ‚Messe in As’ übergeben; die von Eybler bis dahin bekleidete Vizehofkapellmeisterstelle blieb bis 1826 vakant. Schubert jedoch, erhielt einen frostigen und abschlägigen Bescheid, von dem er um 1827 seinem Freund Dr. Franz Hauer in einem Gespräch erzählt hat: „Unlängst brachte ich dem Hofkapellmeister Eibler eine Messe zur Aufführung in der Hofkapelle. Eibler äußerte, da er meinen Namen vernahm, daß er noch keine Composition von mir gehört habe. Ich bilde mir gewiß nicht viel ein, aber ich hätte doch geglaubt, daß der Hofkapellmeister in Wien schon etwas von mir gehört habe. Als ich nach einigen Wochen kam, um mich nach dem Schicksal meines Kindes zu erkundigen, sagte Eibler, die Messe sei gut, aber nicht in dem Styl componirt, den der Kaiser liebt. Nun so empfahl ich mich und dachte bei mir: Ich bin denn nicht so glücklich, im kaiserlichen Styl schreiben zu können".

Am 22. Januar 1827 wurde stattdessen Josef Weigl zum Vizehofkapellmeister ernannt; damit war für Schubert das Kapitel, das schon 1822 mit der nicht realisierten Absicht der Widmung an den Kaiser begonnen hatte, zu Ende und seine Hoffnung auf eine gesicherte Lebensstellung zunichte geworden.

Schuberts Schaffensweise

Das Bild Schuberts, das über lange Zeit nach seinem Tod anekdotenhaft und novellistisch ausgeschmückt wurde, war das eines angeblich unbewusst und unreflektiert-spontan schaffenden, sich in Melodien verströmenden, volkstümlichen Liederkomponisten und eines im Zustand der ‚Clairvoyance’, also quasi im Trancezustand Schreibenden. Hierzu schreibt 1986 der Musikwissenschaftler Hans Jaskulsky: „der absichtsvoll konstruierte Antagonismus zwischen dem biedermeierlichen Meister der kleinen Form und den um Großformen ringenden Giganten Beethoven." Diesem wird als zweites, abwertend gemeintes Urteil von Josef von Spaun (1788-1865) hinzugefügt, dass Schubert nicht nachträglich an seinen Kompositionen gefeilt habe. Während auf Beethoven offenbar schon der rein physische Vorgang des schriftlichen Skizzierens anregend wirkte, muss Schubert viele seiner Kompositionen zunächst reflektierend entwickelt haben. Sodann brachte er sie allerdings oft in einer ersten und vollgültigen Niederschrift zu Papier. Doch auch zahlreiche authentische Äußerungen seiner Zeitgenossen lassen Schubert bereits in jungen Jahren als einen sehr bewusst arbeitenden und planenden Komponisten erscheinen, wofür auch die Datierungen in seinen Autographen sprechen, die die Arbeitszeiten zu jedem Satz genau festhalten. Auch seine Tageseinteilung („Den Morgen und Vormittag bis 2 Uhr widmete Schubert ohne Ausnahme (!) der Komposition oder dem Studium alter Meister", Josef von Spann) zeigt den planvoll Arbeitenden.

Und der mehrjährige Schaffensprozess an der As-Dur-Messe sowie verschiedene Fassungen der ‚Gloria’-Schlussfuge und des ‚Osanna’ zeigen den an seinen Kompositionen detailliert arbeitenden Komponisten.

Franz Schubert hat die Messe in As-Dur teilweise in Gestalt einer Klavierskizze entworfen, wie er es für größere Orchesterwerke seit etwa 1818 getan hat. Die tief greifenden Neu- und Umgestaltungen und Änderungen nahezu aller Teile der Partitur-Erstentwürfe lassen sich an den Änderungen im Autograph erkennen, in das er beide Fassungen eingetragen hat (siehe Faksimile des Entwurfs zum ‚Credo’).

Aus den Erfahrungen der Erstaufführung sind vermutlich Umgestaltungen und zum Teil Vereinfachungen vorgenommen worden, die anhand des zugänglichen Notenmaterials verifiziert werden können. Die gravierendste Änderung stellt die vollständige Neukomposition der Fuge über „cum sancto spiritu" dar. Der Kaiser hätte sich nun kein vollendeteres Beispiel einer „gehörig durchkomponierten Fuge" wünschen können. Die Fuge weist mit einer Länge von 198 Takten gewaltige Ausmaße auf und macht damit über ein Drittel des ‚Gloria’ aus. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Schubert sich in jener Zeit mit Werken Bachs und Händels beschäftigt hat („Heute habe ich die Bach'schen Fugen .... Herrn v. Leidesdorf zur Übersendung an Dich eingehändigt", Franz Schubert an seinen Bruder Ferdinand am 3.7.1824).


Anmerkungen und  Beobachtungen zur Form der As-Dur-Messe

Mit der As-Dur-Messe betritt Schubert in kompositorischer Hinsicht musikalisches Neuland:

1. Auffällig ist ein Tonartenplan, der über terzverwandte Tonarten neue Klangbereiche erschließt. Ist schon die Wahl der Grundtonart As-Dur ungewöhnlich (weder Haydn, Mozart noch Beethoven gehen in ihren Messen über drei Vorzeichen in der Grundtonart hinaus), so beschreitet Schubert mit der Bevorzugung weiter entfernt liegender, terzverwandter Tonarten Wege zu Tonartenfarbkontrasten und zu einer Tonartensymbolik. So wirkt der Wechsel vom As-Dur des ‚Kyrie’ zum E-Dur des ‚Gloria’ als „wenn man in einem Kirchenfenster in Violett und Grün ein flammendes Rot aufdeckte" (Alfred Einstein).

Der Tonartenplan der ganzen Messe (bei ‚Kyrie’, ‚Gloria’ und ‚Credo’ wird jeweils der Grundton der alten Tonart zur Terz der neuen Tonart):

Kyrie           Gloria         Credo                       Sanctus            Benedictus         Agnus Dei
As-Dur         E-Dur         C-Dur                       F-Dur               As-Dur              f-moll
                                 (As-Dur* + C-Dur*)                                                  (As-Dur*)

*  Ausweichung innerhalb des Werkteile in terzverwandte Tonarten

2. Sinfonischer Einfluss auf die Form und damit verbunden eine Nichtanwendung tradierter Formen und Einteilungen: Zum einen wird im Kyrie entgegen der üblichen Dreiteilung Kyrie - Christe - Kyrie eine Fünfteilung vorgenommen, wobei die Partien des „Christe eleison“ dem Solistenquartett zugewiesen werden. Es lassen sich im Kyrie nach dem Kriterium der klassischen Sonate zwei Themata unterscheiden: Nach der Exposition (Kyrie - Christe) und einem kurzen Verarbeitungsteil setzt Schubert eine Reprise mit dem Material in der Grundtonart (Kyrie - Christe), an die er eine Coda anfügt, in der er eine Synthese des vorgestellten Kyrie- und Christe - Themenmaterials verwirklicht.

Zum anderen lässt sich das Credo mit seiner ausgedehnten Anlage (433 Takte) und der konsequenten thematischen Verarbeitungstechnik nur mit sinfonischen Maßstäben messen. Zum Gesamtaufbau des Credos gehören 4 Teile, in denen man die Sonatenhauptsatzform wieder findet:

Exposition                            Zentrum                            Durchführung                    Reprise
I.   C-Dur                            Ia. As-Dur/as-moll                II. C-Dur                         III. C-Dur
„Credo in unun Deum“           „Et incarnatus est“               „Et resurrexit“                   „Confiteor“



Die Einteilung der Teile I und II entspricht der Tradition der Messvertonungen. Der    Einschnitt bei „Confiteor" weicht hiervon ab und dient dem Erfüllen der Form in seiner Funktion als Reprise. Auffällig ist darüber hinaus ein weiterer, in die sinfonische Form eingefügter Teil, das „Et incarnatus est". Schubert stellt mit dessen Tonart As-Dur, die um eine Terz tiefer liegt als das C-Dur des ‚Credo’ die Verbindung her zum As-Dur des ‚Kyrie’ zu Beginn und dem As-Dur des ‚Agnus Dei’ am Ende der Messe. Einzigartig ist auch im Rahmen der sechs Schubert-Messen die Taktart (3/2) im schwer schreitenden ‚Grave’ als Kontrast zu den schnellen Außenteilen (2/2 – Takt, Allegro maestoso e vivace).

3. Auch in kleineren Details lässt sich die Dominanz der Form gegenüber dem Text erkennen. So ermöglichten Textumstellungen (Wiederholungen des „Gloria in excelsis Deo" nach dem „adoramus te"), Textänderungen („Domine Fili unigenite" wird zu „Domine Jesu Christe, gratias agimus tibi") oder Texthinzufügungen („Osanna in excelsis Deo") erst die Geschlossenheit musikalischer Form und die Möglichkeit zu periodischen Bildungen.

4. Schubert greift im „Et incarnatus est“ auf ältere vokale Vorbilder zurück, wenn er einen vierstimmigen Frauenchor antiphonal dem vierstimmigen Männerchor gegenübergestellt, beeinflusst von der beginnenden Palestrina-Renaissance des frühen 19. Jahrhunderts. Auch im doppelchörig angelegten ‚Osanna’ kann man seine Hinwendung zu vorbarocker mehrchöriger Instrumental- und Vokalmusik erkennen. Zahlreiche einander ergänzende, antwortende oder hinführende Konstellationen zwischen den Solisten, Chor und dem Orchester (und einzelnen Orchestergruppen) verweisen auf diese Erfahrungen Schuberts.


Zur Textbehandlung in Schuberts Messen

Der Text in allen Messen Schuberts weicht an je verschiedenen Stellen vom verbindlichen liturgischen Text ab. In allen Messen aber fehlt - und dies ist die bedeutsamste und wohl auch in ihrer Konsequenz kaum als ‚Versehen’ erklärbare Auslassung - der die Kirche betreffende Glaubensartikel „et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam". Die Änderungen des liturgischen Textes dürfen weder dogmatisch noch textkritisch überbewertet werden. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war eine freiere, weniger verbindliche Vertonung des Messtextes im Gebrauch. So fehlt beispielsweise in Joseph Eyblers Messe in B-Dur das „Et incarnatus est"; auch Messen von Joseph Haydn und Abbe Voglers Pastoralmesse können in diesem Zusammenhang angeführt werden. In einem Bericht des „Wiener Fremdenblattes" vom 5.10.1890 über die Aufführung von Schuberts ‚Messe in Es’ kommt diese Auffassung am besten zum Ausdruck: „Hier quillt die Musik aus allen Ecken und Enden und mehr als einmal gehen in dieser tönenden Hochflut die liturgischen Rücksichten unter".

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat hier durch kirchenmusikalische Reformbestrebungen eine Wende eingesetzt. Durch ein von Papst Leo XIII. am 7. Juli 1894 genehmigtes Dekret der Ritenkongregation ist es verboten, in liturgischen Texten Worte auszulassen, den Sinn der Sätze zu verändern oder Sinnzusammenhänge durch Einschübe oder Pausen zu zerstören. Die Messen Schuberts dürfen seither in ihrer originalen Form in katholischen Gottesdiensten nicht mehr aufgeführt werden. Eine Folge dieser Entwicklung war, dass Ludwig Bonvin zum hundertsten Todestag Schuberts 1928 die ‚Messe in Es’ für den liturgischen Gebrauch neu einrichtete und fehlende Textstellen durch Takteinschübe ergänzte.

Wahrscheinlich gilt heute noch, was Leopold Nowak 1928 auf dem internationalen Kongress für Schubertforschung in Wien ausgeführt hat: „ [...] Und wenn er in der gebräuchlichen Art seines Zeitalters mit dem liturgischen Text frei umging, Worte umstellte oder ganz ausließ, so liegt das meiner Ansicht nach darin, dass er bei der schnellen Konzeption seiner Gedanken - oftmals durch andere Werke unterbrochen - nicht die Zeit hatte, den Text einer Revision zu unterziehen. Noch dazu, wenn es ihm um Formgebung aus musikalischen Gründen zu tun war (Wiederholungen von Worten: Kyrie, Gloria, Gratias u. ä.). Was die Auslassung der Worte „et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam" betrifft, so glaube ich, dies dem Geist der Aufklärung zuschreiben zu müssen... Vielleicht auch, dass Schubert seinen sich frei bewegenden Glauben in die ihm eng dünkenden Fesseln - wenn ich mit aller Vorsicht so sagen darf - einer einzigen Kirche nicht spannen wollte und daher diese Worte aus seinem Glaubensbekenntnis entfernte. Da die Stelle in allen sechs Messen fehlt, muss wohl eine Absicht Schuberts angenommen werden."

Für Nikolaus Harnoncourt stehen die beiden letzten Schubert – Messen in As-Dur und in Es-Dur gleichberechtigt neben Beethovens Missa solemnis als die „herausragendsten, wichtigsten und künstlerisch bedeutendsten Auseinandersetzungen mit der christlichen Liturgie. Meiner Ansicht nach bedeuten die gesellschaftliche Situation und der geistige Horizont des Publikums sowie die Art, wie Religion und Leben in Mitteleuropa miteinander verwoben sind, dass diese Werke für die Zuhörer wie für die Musiker eine Ausdrucksgewalt besitzen, die uns buchstäblich bis in den tiefsten Seelentiefen aufwühlen kann. Diese Musik ist kein Akt frommer Andacht, sondern Schuberts leidenschaftliches Bemühen, den Tod zu bewältigen.“

                                                                                                                                                                                    IB